DFV Landesverband Thüringen e. V.

Inklusion der letzte schwere Schlag gegen das staatliche Schulwesen

von Annett Torres

Die Initiative der UNESCO zur Bildung für alle beruht auf dem Mißstand, daß 2010 immer noch weltweit 61 Millionen Kinder keine Gundschule besuchen können, 775 Millionen Erwachsene, davon 2/3 Frauen Analphabeten sind, 250 Millionen Kinder im Grundschulalter weder lesen noch schreiben können und 71 Millionen Jugendliche im entsprechenden Alter keine weiterführende Schule besuchen können und daher keine Chance haben, sich die nötigen Kenntnisse für eine berufliche Perspektive anzueignen. (UNESCO-Weltbildungsberichts 2012 Kurzfassung)

Inklusive Mehrwertsteuer … Inklusion als Substantiv war in der deutschen Sprache bisher nicht gebräuchlich (Duden, 25. Auflage, Leipzig 1984, Mannheim 2006). Sein Ursprung als Fremdwort findet sich im Lateinischen bzw. im Englischen: inclusion (engl.) – Einschluß, Einbeziehung (Großes Wörterbuch Englisch: Axel Juncker VerlagMünchen 2003) oder Inklusion – Einschluß, Enthaltensein (Wahrig Fremdwörterlexikon: Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 1991). Inklusion ist kein Begriff aus der Pädagogik oder der Schwesternwissenschaft Psychologie wie auch schon das Unwort Kompetenz, welches Mitte der 90iger Jahre in die Sprache der Kultusministerien und damit der Lehrpläne, der Pädagogen an den Universitäten und vor allem an den Studienseminaren für Lehrerausbildung hinein- und die Begriffe Fähigkeiten und Fertigkeiten verdrängte. Unter dem Schlagwort Inklusion soll ein jahrzehntelang gewachsenes ausdifferenziertes Fördersystem für langzeitig physisch und psychisch beeinträchtigte Kinder und Jugendliche kostensparend zerstört werden.

Der Grundansatz der Pädagogik ist, jedes Kind seinen Voraussetzungen nach optimal zu fordern und fördern. Entsprechend eines Erziehungsplanes und der Beobachtungen des Kindes ist die pädagogische Arbeit dem aktuellen Entwicklungsstand immer wieder anzupassen. Bürokratische Hemmnisse stehen diesem oftmals entgegen, insbesondere wenn sich durch persönliche Krisen die Lebenssituation stark verändert. In diesem Falle bedarf es einer ausreichend schnellen Reaktion der betreuenden Erwachsenen. Im Kleinstkindalter verändern Minuten bis Stunden den Entwicklungsstand, im Kindergartenalter Tage, im Schulalter sind die Zeiträume Wochen und wenige Monate. Diesen Zeitfenstern sollte sich auch die Gesetzeslage anpassen. Die starke Trennung in die verschiedenen Schularten lassen die bürokratischen Hindernisse für Laufbahnänderungen stark anwachsen. In die Schule integrierte kleine Lerngruppen mit Problemschülern, die zeitlich flexibel zusammengesetzt sind und von qualifiziertem, gleichbleibendem Personal angeleitet werden, wie es z.B. in Finnland üblich ist, könnten Abhilfe schaffen. Aber auch dort gibt es zusätzlich Förderschulen für Langzeitbehinderungen, die sich auf die speziellen Anforderungen personell und materiell einstellen können.

In der Bundesrepublik Deutschland hat die Benachteiligung und damit der Ausschluß von optimaler Entwicklung von normal entwickelten Kindern ihren Ursprung in der zu frühen Selektion nach der vierten Klasse. Kinder aus bessergestellten Elternhäusern sind zu diesem Zeitpunkt denen aus ärmeren Schichten in ihrer individuellen Entwicklung deutlich voraus, da kognitive Aufnahmefähigkeit und gute körperliche Gesundheit in dieser Gesellschaft finanzielle Unterstützung brauchen. Kindern aus wohlsituierten Elternhäusern können eine gute Kinderbetreuung, zusätzliche, z.B. sprachliche Angebote im Kindergarten, Musikunterricht, sportliche Aktivitäten, Urlaubsreisen, kindgerechtes Spielzeug und eine optimale Gesundheitsvorsorge bzw. Ernährung finanziert werden. Ebenso werden in diesem Alter die Mädchen aufgrund ihrer schnelleren geistigen und körperlichen Reifung bevorzugt, was in dem höheren Mädchenanteil an den Gymnasien seinen Ausdruck findet. Kindergarten und Grundschule vermögen diesen von Herkunft, Geschlecht sowie häuslichem Engagement der Eltern abhängigen Entwicklungsvorsprung nicht auszugleichen. Erst, wenn die schulischen Leistungen in den höheren Klassenstufen, ab achter bzw. neunter Klasse, vorrangig von den Jugendlichen selbst erbracht werden müssen, können ehrgeizige und vor allem lernwillige Kinder mit schlechteren familiären Voraussetzungen aufholen.

Die bestmögliche Förderung für in ihrer Entwicklung beeinträchtigte Kinder und Jugendliche ist nicht unbedingt die große Lerngruppe in allgemeinbildenen Schulen mit optimal etwa 20 Schülern, sondern eher die Klein- bzw. Kleinstgruppe mit einem hohen Betreuungsschlüssel wie er besonders an Förderschulen oder kleinen Schulen gegeben ist. Aufgrund der Sortierung von immer mehr Schülern mit Entwicklungsstörungen, verursacht durch das familiäre und soziale Umfeldes, in die Förderzentren können diese nicht mehr ihrer eigentlichen Aufgabe, der Förderung von Kindern mit speziellen Behinderungen gerecht werden. Sie verkommen zu Endstationen von Schulkarrieren nach zig Schulwechseln. Der Trend zu großen Schulzentren mit 1000 und mehr Schülern gleicht eher einer Massenabfertigung und dient einem vor allem ökonomisch effizienten Lehrereinsatz quer durch alle Schulformen und Klassenstufen.

Die allgemeine Tendenz der Anhebung der Wochenstundenzahl bei Lehrern auf bis zu 28 Stunden und ein zunehmender, verdeckter, nicht konkret abrechenbarer Zeitaufwand führt zu einer permanenten Überlastung und zum Verschleiß auch junger Lehrer. Hierzu zählen ein hoher bürokratischer und zeitlicher Aufwand bei der Betreuung der zunehmende Zahl von verhaltensauffälligen und förderbedürftigen Schülern wie seitenlange verbale Beurteilungen, Förderpläne, stundenlange, oftmals stressige Elterngespräche etc. Das alles macht durchaus ein Drittel der Lehrertätigkeit aus und stellt keine direkte Arbeit mit dem Kind dar, was aber die eigentliche Aufgabe eines Lehrers ist. Des weiteren fallen zahlreiche Vertretungsstunden erkrankter Kollegen an, die diesem Streß nicht mehr gewachsen sind.

Effektives Lernen erfolgt mittels zentraler Führung des Bildungs- und Erziehungsprozesses durch den Lehrer. Diese Erfahrung wird nun durch die John-Hattie-Studie wissenschaftlich unterlegt. Auch wenn der Erziehungsanteil des Lehrers mittels sogenannter reformpädagogischer Ansätze des Kultusministeriums in Thüringen, sekundiert durch das Institut für Erziehungswissenschaften der FSU Jena, die Studienseminare und das Thillm, stark in Richtung eines Stundenhalters und Beobachters beschnitten wurde, gibt die Lehrerpersönlichkeit durch ihr Agieren eine Orientierung für die Heranwachsenden.

Die große Ausdifferenzierung der angestrebten Abschlüsse, damit ein sehr ungleicher Leistungsstand, der durch die Integration von Förderschülern in die Großgruppen weiter verstärkt wird, verunmöglichen einen optimal organisierten Bildungsprozeß mit Methodenvielfalt, sozialer Stabilität, Leistungsvergleichbarkeit, spiralförmigem Curriculum, umfangreicher Allgemeinbildung und fundierten Grundkenntnissen.

Bildung als wichtigstes Menschenrecht nach Ernährung, Gesundheit, Wohnung ist die Voraussetzung für die künftige Teilnahme eines Menschen an gesellschaftlichen Prozessen. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen bedürfen spezieller Fördermöglichkeiten, die nach individueller Prüfung auszuwählen sind. Diese reichten bisher von einer vollen Integration in eine Klasse bzw. Großgruppe mit minimaler zusätzlicher Unterstützung hin zur Eingliederung in eine Kleinstgruppe mit spezieller sozialer und medizinischer Betreuung an Förderschulen. Die Überweisung von förderbedürftigen Kindern auf Förderschulen ist immer eine Einzelfallentscheidung und erfolgt nach einem längeren Prüfungsprozeß. Dem entgegen stehen jetzt die Aufnahmestopps sowie Schließung von Förderzentren in vielen Bundesländern, obwohl Bedarf angemeldet wurde.

Stabilität ist die wichtigste Bedingung für ein gut funktionierendes Bildungswesen. So hat sich das seit 1989 kontinuierlich schwarz regierte Sachsen bisher von den Wirren der Bildungsnovellen, die z.B. über Sachsen-Anhalt oder Thüringen hinwegrollten, fernhalten können. Mittelständische Unternehmen und Handwerker beklagen bei Schulabgängern allerdings die zunehmend unzureichenderen Grundkenntnisse in deutscher Rechtschreibung und Grammatik, Kopfrechnen, individualistische Verhaltensweisen, geringe Anstrengungsbereitschaft, schlechte Allgemeinbildung und ein niedriges Niveau in den MINT-Fächern. Der sachsenweite Durchschnitt der staatlichen Mittelschulen in Mathematik und Physik liegt bei „ausreichend“. Die diesjährigen Kompetenztests für die achten Klassen der staatlichen Mittelschulen ergaben für die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik ebenso nur durchschnittliche Leistungen unter 60 %. Durch die zunehmende Unattraktivität und die Unzufriedenheit mit den staatlichen Schulen und den über die UNO, EU und private Konsortien wie PISA erfolgenden Druck zur Durchsetzung von Minderheitenrechten über die von Mehrheiten wird dem staatlichen Bildungswesen mittels Inklusion dieser letzte schwere Schlag versetzt, um dem Trend hin zu Privatschulen neuen Aufschwung zu verleihen.


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